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27.12.92, sechs Uhr morgens, Hafen von Souda, Kreta. Nach nahezu zwei
Jahren Abwesenheit sehe ich die wohl bekannteste griechische Insel wieder, auf der ich von
1985-91 mit meiner Frau und unseren vier Kindern gelebt habe. Dementsprechend aufgewühlt
und intensiv meine Gefühle schon am Vorabend, als ich mit Freund Harry und unseren Bikes
das Fährschiff in Athen betrat und dementsprechend enorm auch der Retsinaverbrauch mit
einigen Griechen in der vergangenen Nacht. Schwer gerädert gehen wir von Bord und stehen
buchstäblich im Regen. Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bestätigt: Kreta im
Winter kann auch sintflutartige Regenfälle bedeuten. Also ab ins nächste Kafenion -
frierend, naß und übernächtigt machen wir mit den Rädern auf unsere Umwelt wohl einen
grotesken Eindruck. Etliche Tassen starken Nescafe später und nun endgültig überdreht,
ist es mehr oder weniger hell geworden. Wir entschließen uns im Nieselregen die zehn
Kilometer bis Kalives, meinem alten Heimatort zu fahren. Mein erster Weg führt mich in
mein Exhaus. ... Den Rest des Tages habe ich mit dem Dorf Wiedersehen gefeiert.
... Nie wieder Metaxa, Raki oder ähnlich widerliches Zeug. Es regnet jeden Tag und unsere
Räder stehen bei Freunden im Dorf Kalamitsi - ein trauriger, sinnentleerter Anblick. Wir
sind gekommen, um Rad zu fahren und nun das! Jeden Abend kleben wir am Radio oder
Fernsehgerät, um die letzten Wetterberichte zu hören. ... Am Silvesterabend liegen wir
schon um 22.00 Uhr deprimiert in unseren Betten und lauschen dem prasselnden Regen.
... Ein rührend blasser Sonnenschein zwängt sich durch die dichte Wolkendecke. Auf
geht's. Jetzt oder nie. ... durch Pinienwälder und Olivenhaine. ... Der Zimmerpreis ist
hoch und das Wasser ist kalt. Dafür hält mich die ganze Nacht ein penetranter Pfeifton
bei Laune, dessen Quelle unergründlich ist, die Zerstörung meines Schlafzentrums. ...
Morgens natürlich kein heißes Wasser. Nach einem eher traurigen Frühstück setzt
Schneeregen ein. ... Was dann geschieht ist eher irre. Autos versperren immer wieder die
Straße, ringsherum tiefverschneite Olivenhaine, aus den Lautsprechern plärrende
kretische Musik ... Schneetreiben ... . Die Stimmung erreicht den absoluten Nullpunkt. Es
ist schwer ein Zimmer zu finden. ... Um 17.30 begeben wir uns in unsere Zelle. Harry liegt
mit der Wollmütze im Bett. Nie wieder Kreta im Winter. Wir liegen wie aufgebahrt, es
fehlt nur noch ein Stromausfall und eine Kerze am Kopfende unserer Betten. So geht's auch
nicht, also ab in die nächste Taverne. Eine gute Fasolada (Bohnensuppe) und Wein richten
uns notdürftig wieder auf. Wieder in der Zelle, legen wir uns nieder. Zwanzig Minuten später
geht das Licht aus (Stromausfall!), und vor der Türe geistert jemand mit Kerzen herum.
... Wir wachen auf, es ist Sommer. So schnell geht das auf Kreta. ... Wir fahren los und
genießen die Fahrt durch grüne Täler, malerische und grüne Landschaft. Einige Schäfer
treiben ihre Herden über die sanften Hänge, alles ist harmonisch und friedlich. ... Die
Sonne brennt ganz schön auf uns herab.
Wir konnten die Tage noch für einige schöne Touren nutzen. Wir sahen den tiefgrünen Süßwassersee
von Kournas, ein einzigartiges Biotop, die Quellen von Argiroupolis und das Dorf Kokkino
Chorio, wo vor 30 Jahren die Dorfszenen zu dem Film "Alexis Zorbas" mit Anthonny
Quinn gedreht wurden.
Wir ließen den Urlaub in aller Ruhe ausklingen. ... Am 26.1. waren wir bereits vor 18.00
Uhr an Bord der Lissos, dem selben Schiff, das uns vor einem guten Monat nach Kreta
brachte. Wir fanden ein Couchette, wo man recht bequem und gratis schlafen kann, waren
bald in unseren Betten und meine Gedanken segelten von den Erlebnissen der letzten Wochen
hin zu Eva und meinen Kindern.
Auszüge aus dem Urlaubstagebuch von Wolfgang Grill, 1992/93
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